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Stefan Schlegel startet beim brutalsten Radrennen der Welt. Im SPORT1-Interview spricht er über Extreme und Halluzinationen.
Stefan Schlegel fährt von der Ostküste der USA an die Westküste - das sind knapp 5000 Kilometer
(Copyright: getty)
Von Martin Jahns
Das Race Across America ist das wohl härteste Radrennen der Welt: Über knapp 5000 Kilometer quälen sich die Fahrer nonstop von der West- zur Ostküste der USA. Erschöpfung und Schlafmangel sind dabei stete Begleiter.
Bei der Auflage im kommenden Jahr will auch der Deutsche Stefan Schlegel wieder angreifen. Bereits 2012 nahm der 36-Jährige am RAAM teil - und fuhr prompt in die Top Ten.
Bei seinem erneuten Start peilt er nicht nur das Podest an, sondern auch Hilfe für einen guten Zweck: Auf seiner Team-Homepage steht jeder Rennkilometer für karikative Zwecke zum Verkauf.
Im SPORT1-Interview spricht Schlegel über fast unmenschliche Rennstrapazen, die kuriosen Folgen des Schlafmangels und seine Ziele für das RAAM 2014.
SPORT1: Herr Schlegel, wie gehen Sie denn in die Weihnachtsfeiertage. Allzu viel gönnen können Sie sich wohl nicht, wenn Sie im nächsten Jahr wieder beim Race Across America (RAAM) antreten wollen?
Stefan Schlegel: Sie meinen Schokolade?
SPORT1: Zum Beispiel.
Schlegel: Schokolade brauche ich eh nicht. Es ist klar, dass ich momentan auf Diät bin, wobei es nicht darum geht abzunehmen, sondern es ist eine sportspezifische Diät. Das heißt, ich versuche mich so zu ernähren, dass ich die bestmögliche Trainingsleistung bringen kann.
SPORT1: Sie haben 2012 zum ersten Mal am RAAM teilgenommen und sind gleich in die Top 10 gefahren. Hat es Sie nach einem Jahr Pause wieder in den Beinen gejuckt?
Schlegel: Interessanterweise wussten das viele Leute früher als ich selbst. Die Erklärung ist: Nach der letzten Teilnahme bin ich zu dem Schluss gekommen, dass ich es noch besser kann. Sowohl ich als Athlet als auch mein ganzes Team. Als Rookies haben wir viele Anfängerfehler gemacht und durch Koordinations- und Abspracheschwierigkeiten unnötig Zeit verloren.
SPORT1: Können Sie dazu eine Situation schildern?
Schlegel: Ein ganz einfaches Beispiel: Es gibt ja 54 Kontrollstationen, die man durchfahren muss. Bei jeder dieser Stationen muss man im Hauptquartier anrufen und sagen, wie viel Uhr es ist, wer und wo man ist. Bei sehr vielen Stationen haben wir unnötig angehalten und dadurch insgesamt gut drei Stunden Zeit verloren. Diese hätte ich besser nutzen können, zum Beispiel mit Schlafen. Diesmal sind wir ein noch größeres und noch stärkeres Team. Ich bin sicher, wir werden ein besseres Ergebnis erzielen.
SPORT1: Haben Sie eine genaue Zielsetzung für das RAAM 2014?
Schlegel: Unser Ziel ist das Podium. Das hat bisher noch nie ein deutscher Solofahrer geschafft. Der deutsche Rekord liegt bei Platz vier und zehn Tagen. Wir wollen unter zehn Tagen bleiben. Vieles ist auch vom Wetter abhängig. Orkanböen, Regen, extreme Hitze – das sind natürlich alles Zeitfaktoren.
SPORT1: Sie sprechen die extremen Bedingungen an. Die Strecke führt unter anderem bei 40 Grad Celsius durch die Wüste. Wie bereiten Sie sich in Deutschland darauf vor?
Schlegel: Auf die Temperaturen kann man sich eigentlich nicht vorbereiten. Generell komme ich mit Hitze aber sehr gut zurecht. Anders ist das bei kalten Temperaturen bis zu null Grad wie in den Rocky Mountains. Das fällt mir wesentlich schwerer. Darauf kann ich mich hier in Deutschland aktuell aber gut vorbereiten.
SPORT1: Wie sieht Ihr Alltag derzeit aus? Sie sind ja kein Profi, sondern arbeiten neben der Vorbereitung ganz normal.
Schlegel: Genau. Ich stehe um sechs Uhr auf, mache etwas Büroarbeit. Mein erster Termin ist von acht bis zwölf Uhr. Dann setze ich mich zirka sechs Stunden aufs Fahrrad. Nachmittags und abends habe ich dann meistens noch ein, zwei weitere Termine.
SPORT1: Schlafen Sie auch weniger? Während des Rennens ist ja kaum Zeit dafür…
Schlegel: Nein, ich schlafe ganz normal. Schlafentzug kann man körperlich nicht trainieren. Das ist eine mentale Sache. Ich habe dafür einen Mentalcoach, der hilft mir. Mehr kann ich in der Vorbereitung nicht tun.
SPORT1: Wie haben Sie den Schlafmangel 2012 bewältigt?
Schlegel: Es war mörderisch. Auf dem Fahrrad bin ich immer wieder eingeschlafen, klassischer Sekundenschlaf eben. Zwischen den Fahrten habe ich nie mehr als zwei Stunden geschlafen, dann ging es gleich wieder weiter. In diesen Situationen ist das Team extrem wichtig. Auch in ganz praktischer Hinsicht.. Das Team hat einerseits die Aufgabe, einen mit Nahrung und allem Lebensnotwendigen zu versorgen. Oft war ich so fertig, dass ich mich nicht mal mehr selber an- und ausziehen konnte. Andererseits ist Aufbauarbeit ein ganz wichtiger Faktor, zu sagen: "Komm', das schaffst du! Für dich! Für uns! Für alle, die an dich glauben!" Das ist umso schwerer, als dass das Team ja selbst müde und bis ans Äußerste strapaziert ist.
SPORT1: Was kann Ihr Team machen, um sie aufzubauen?
Schlegel: Erst einmal muss sich das Team voll auf dich einstellen. Geistig ist man bei diesem Rennen zwischen Kleinkind und Philosoph. Je nach aktueller Gemütslage muss das Team darauf richtig reagieren. Und dann haben mir auch die vielen E-Mails geholfen, die wir währenddessen bekommen haben. Es waren über 400 Mails, viele von wildfremden Menschen, viele aber auch von Verwandten, mit Geschichten, Liedtexten, Grüßen - die Leute waren da sehr kreativ. Diese Mails hat mir mein Betreuerteam vorgelesen, das hat mich unterhalten, abgelenkt und aufgebaut – und teilweise hat es wirklich extreme Emotionen ausgelöst.
Austragungsorte der Sommerspiele
1928 Amsterdam
Niederlande
1956 Melbourne
Australien
2012 London
Großbritannien
2016 Rio de Janeiro
Brasilien
SPORT1: Viele Fahrer hatten aufgrund des wenigen Schlafes Halluzinationen. Sie auch?
Schlegel: Ja. Illusionen und Halluzinationen. Illusionen, das heißt, man sieht etwas, aber interpretiert es falsch. Zwischen Kansas und Missouri – nach gut 2000 Kilometern – fing es an. Ich dachte, der Horizont kommt auf mich zugerast und schlägt mir gleich gegen die Stirn. Ich habe dann immer den Kopf eingezogen. Halluzinationen, also Fantasievorstellungen, hatte ich auch. Einmal dachte ich, die Titanic fährt neben mir her.
SPORT1: Und körperlich?
Schlegel: Ich war an meiner äußersten Grenze. Die Dauer ist der absolute Killer. Die Schmerzen waren enorm, man merkt, wie man seine Schmerztoleranz extrem verschieben muss. Noch nie in meinem Leben hatte ich solche Schmerzen.
SPORT1: Das klingt nach einer mehrtägigen Qual. Warum nehmen Sie das alles noch einmal auf sich?
Schlegel: Ich möchte all den Menschen, die davon mitbekommen, zeigen, was man erreichen kann; ich möchte ihnen Mut machen. Es geht also um eine gewisse Vorbildfunktion. Natürlich möchte ich auch mir selbst beweisen, dass ich es schaffe. Für dieses Rennen braucht man eine enorme mentale Stärke, die weit über den alltäglichen Herausforderungen liegt. Grundsätzlich kann sich das jeder antrainieren, der eine etwa besser als der andere. Meine größte Stärke ist der Geist – deshalb fahre ich das Race Across America.